Härtsfeldbahn-Anzeiger

Ausgabe 1/1997

Ein Jahrzehnt Härtsfeld-Museumsbahn e.V.

Gut sieben Jahrzehnte existierte die von Aalen über Neresheim nach Dillingen führende meterspurige private Härtsfeldbahn. 1901 hatte man die im Volksmund "Schättere" betitelte Bahnlinie zwischen Aalen und Ballmertshofen in Betrieb genommen; 1906 wurde sie bis Dillingen verlängert. Mit der Stilllegung im Jahre 1972 und dem Abbau der Strecke in den folgenden Jahren ging auf dem Härtsfeld eine Epoche zu Ende.
Üblicherweise endet hier die Geschichte einer Bahnstrecke; nicht aber in diesem Fall: Als am 22. August 1984 die ehemalige Schättere-Lok 11 frisch renoviert als Denkmal in Neresheim aufgestellt wurde, kam bei einigen anwesenden Eisenbahnfreunden erstmals der Gedanke an ein Eisenbahn-Museum und an eine Museumsbahn auf. Kurz darauf konstituierte sich ein "Freundeskreis Schättere", aus dem dann am 23. Januar 1985 der Verein "Härtsfeld-Museumsbahn e.V." hervorging.
Das damals in Angriff genommene Ziel, die Härtsfeldbahn nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, drückt sich deutlich in der Vereinssatzung aus: "Zweck des Vereins ist die Förderung der Kultur des Härtsfeldes und des Denkmalschutzes. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch die Pflege einer Sammlung technischer Kulturdenkmale, die Einrichtung eines Museums und durch breite Öffentlichkeitsarbeit."
Nachdem man anfangs das Gelände des ehemaligen Härtsfeld-Güterbahnhofs in Aalen im Auge gehabt hatte, entschied man sich bald für das Angebot des damaligen Neresheimer Gemeinderats und des Bürgermeisters Hegele und wählte die ehemalige Centralstation der Härtsfeldbahn in Neresheim als Vereins-Domizil. Damit wurde ein geradezu idealer Standort für die Vorhaben des Vereins gefunden. Die Centralstation Neresheim war einst eine der größten privaten Eisenbahnanlagen in Württemberg. Hier fanden früher Zugkreuzungen statt, auf den zahlreichen Gleisen gaben sich Güterwagen aller Gattungen und Verwaltungen ein Stelldichein. Die Bahnmeisterei lagerte hier ihre Oberbaustoffe und Werkzeuge. Kohlenbansen, Wasserkran und Tankstelle gehörten ebenso zum Bild wie die zahlreichen Schuppen und das Holzlager. In den großen Hallen wurden die Fahrzeuge gewartet. Sogar komplette Fahrzeugumbauten wurden hier durchgeführt. Das Bahnhofsgebäude schließlich diente der Verwaltung der Bahn. In den Jahren nach der Stilllegung der Härtsfeldbahn wurde vieles entfernt oder verändert, dennoch bietet das Gelände der Centralstation auch heute noch einen guten Eindruck von der einstigen Größe und Bedeutung dieser Anlage.
1986 konnte im ehemaligen Bahnhof Neresheim ein kleines Museum eingerichtet werden, in dem zahlreiche Erinnerungsstücke dem interessierten Publikum zugänglich gemacht wurden. Dort erfährt der Besucher alles über den Bau, den Betrieb, die Funktionsweise, den Niedergang und die teilweise Wiederauferstehung der Härtsfeldbahn. Das Härtsfeldbahn-Museum konnte in den vergangenen Jahren ständig ergänzt und komplettiert werden. Bei einem Besuch spürt man es deutlich: diese Bahnlinie hat das Geschick des Härtsfeldes, seiner Bewohner und Besucher Zeit ihres Bestehens deutlich mitbestimmt. Die Geschichten, die mittlerweile von unzähligen Besuchern in diesen Räumen erzählt wurden, würden sicher mehr als ein Buch füllen.
In rascher Folge konnten in den ersten Jahren Originalfahrzeuge in teilweise schrottreifem Zustand erworben werden, darunter die Dampflokomotive 12, die gut 20 Jahre als Kinderspielgerät in Heidenheim gestanden hatte, sowie die Triebwagen T 33 und T 37, die ab 1973 bei der Nebenbahn Amstetten - Laichingen eingesetzt worden waren. 1992 konnte man den neu aufgebauten T 33 einweihen. 1994 folgte der Star des Fahrzeugparks, die Dampflokomotive 12.
Mittlerweile repräsentiert die ca. 20 Fahrzeuge umfassende Sammlung die Ausrüstung einer privaten schwäbischen Nebenbahn anfangs der sechziger Jahre. Moderne Triebwagen erledigten damals den regelmäßigen Betrieb. Dampflokomotiven und alte Wagen in den unterschiedlichsten Erhaltungszuständen waren noch als Reserve und für besondere Zwecke vorhanden. Einzigartig sind auch die weniger beachteten Güterwagen und Rollböcke, die allesamt aus der Zeit der Jahrhundertwende stammen und einen hervorragenden Überblick über den Güterverkehr bei einer schmalspurigen Nebenbahn bieten. Die Fahrzeuge befinden sich frei zugänglich auf der neu erbauten Gleisanlage am Rande des ehemaligen Bahnhofsgeländes in Neresheim. Lediglich die Lok 12 konnte in einem hölzernen Schuppen untergebracht werden. Für den Besucher ist diese Art der Präsentation sicher positiv und historisch auch korrekt. Die Aufgabe eines Museums ist jedoch neben dem Sammeln und Präsentieren auch das Bewahren. Leider ist den Fahrzeugen mit der Aufstellung im Freien kein guter Dienst getan, denn die rauhe Härtsfeld-Witterung setzt ihnen sehr zu und so müssen große Anstrengungen unternommen werden, um die Fahrzeuge nicht weiter dem Verfall preis zu geben. Ein Ziel der nächsten Jahre muß es deshalb sein, zumindest einen Teil der Fahrzeuge geschützt unterstellen zu können. Auch die rund um die Dampflok eingerichtete Werkstatt kann nur als Notbehelf angesehen werden. Da neben dem im Bahnhof inszenierten Arbeitsplatz des kaufmännischen Personals auch der Arbeitsplatz des technischen Personals gezeigt werden soll, ist es notwendig, einen Teil der Werkstätte mit historischen Maschinen und Geräten auszustatten. In den vergangenen Jahren wurde deshalb systematisch ein historischer, durch Transmission angetriebener, Maschinenpark zusammengetragen und eingelagert. Die Einrichtung einer solchen Werkstätte und die Arbeit damit trägt modernen ganzheitlichen und handlungsorientierten Museumskonzepten Rechnung und wird die Attraktivität der Centralstation Neresheim weiter erhöhen.
Von vorneherein war klar, daß eine Präsentation von Eisenbahnfahrzeugen nur dann erfolgreich und hautnah erlebbar durchgeführt werden kann, wenn der Besucher die Fahrzeuge in ihrer ursprünglichen Aufgabe als Mitfahrer oder als Zuschauer erleben kann. Neresheim bietet hierzu hervorragende Möglichkeiten, stehen doch dem Wiederaufbau des Teilstücks Neresheim - Dischingen keine unüberwindlichen Hindernisse im Wege. Der gesamte Abschnitt kann aufgrund seiner Beschaffenheit als typisch für das Härtsfeld gelten. Auch ein längerer Abschnitt würde dem Mitfahrer keine wesentlichen zusätzlichen Eindrücke vermitteln. Ein kürzerer Abschnitt hingegen mindert die Eindrücke. Die landschaftliche Schönheit sowie die Sehenswürdigkeiten unweit der Strecke bieten zudem einen Erlebnis- und Erholungswert der besonderen Klasse.
Der Wiederaufbau wird in drei Bauabschnitten erfolgen: 1. Neresheim - Sägmühle (ca. 3 km), 2. Sägmühle - Katzenstein (ca. 3 km), 3. Katzenstein - Dischingen (ca. 2 km). Für den ersten Abschnitt wurde das Planfeststellungsverfahren eingeleitet.
Ein kostendeckender Betrieb kann allerdings nur durch den ehrenamtlichen Einsatz von Vereinsmitgliedern durchgeführt werden. Mehrere Mitglieder haben deshalb in den vergangenen Jahren eine Ausbildung zum Triebwagenführer, Zugführer oder Lokomotivheizer absolviert, so daß das Betriebspersonal mittlerweile vollständig vom Verein gestellt werden kann.
Das Feiern darf natürlich nicht zu kurz kommen und so bieten der Tag der offenen Lokschuppentür an Christi Himmelfahrt und die Bahnhofshocketse am ersten Augustwochenende jedem genügend Gelegenheit, einmal einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und dabei das leibliche Wohl nicht zu vernachlässigen. Die Sommerzeit ist auch die Zeit für Ferienveranstaltungen, an denen die Härtsfeld-Museumsbahner immer mit unterschiedlichsten Aktivitäten beteiligt sind. Auch die Treffen von Straßenoldies gehören mittlerweile schon zu den regelmäßigen Veranstaltungen. Am zweiten Adventswochenende ist schließlich Spielen erlaubt, denn dann werden im Rathaus Neresheim Eisenbahnmodelle für groß und klein gezeigt und die Härtsfeldbahn kann im Maßstab 1 : 22,5 bewundert werden.
Mehr im Verborgenen wird die Aufgabe des Forschens und Dokumentierens durchgeführt. Im Dachgeschoß des Neresheimer Bahnhofgebäudes wurde neben der Geschäftsstelle ein kleines Archiv und eine Bibliothek eingerichtet. Neben zahlreichen in den letzten Jahren veröffentlichten Zeitungsberichten muß als Ergebnis der Forschungsarbeit die Schriftenreihe und vor allem das Buch "Schmalspurig über's Härtsfeld" von Andreas M. Räntzsch genannt werden. Zum 90jährigen Jubiläum der Eröffnung der Härtsfeldbahn wurde ein Härtsfeldbahn-Kalender aufgelegt, der einen sehr guten Anklang fand. Aber auch der seit Anfang an regelmäßig jedes halbe Jahr erscheinende Härtsfeldbahn-Anzeiger hat sich zu einem wichtigen Dokumentations-Medium entwickelt, das jedes Mitglied zugeschickt bekommt.
Die Aktivitäten der Härtsfeld-Museumsbahner beschränken sich jedoch nicht nur auf die Centralstation Neresheim. Der Verein hat es sich schließlich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die gesamte ehemalige Härtsfeldbahn aufrecht zu erhalten. Deshalb gilt das Vereinsinteresse der Erhaltung aller noch vorhandenen Sachzeugen. An Infoständen und im Rahmen von Dia- und Filmvorträgen wird "vor Ort" über die Härtsfeldbahn und die Härtsfeld-Museumsbahn informiert.
Unter dem Motto Natur, Kultur und Technik wurden bislang zahlreiche Vereinsausflüge durchgeführt, die den Teilnehmern ein abwechslungsreiches Wochenende unter Gleichgesinnten boten. So mancher Zeitgenosse wurde dabei auf das Härtsfeld aufmerksam und verbrachte in der Folgezeit ein Wochenende in "Schwäbisch Sibirien".
Wenn auch die alte Bahn verschwunden ist, so erhält doch die Härtsfeld-Museumsbahn die Erinnerung an frühere Zeiten. Mit dem Härtsfeldbahn-Museum, der Fahrzeugsammlung und der wieder zum Leben zu erweckenden Teilstrecke von Neresheim vorerst hinunter zur Sägmühle wird eine stolze und ruhmreiche Tradition aufrechterhalten. Darauf können die Härtsfeld-Museumsbahner stolz sein!

Jürgen Ranger

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[ Letzte Aktualisierung 01.07.1997 Gerald Stempel ]